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Physikalische Klassifizierung

  Hinsichtlich der physikalischen Klassifizierung unterscheidet man zwischen Gleichgewichts- und Ausbreitungsproblemen.

Gleichgewichtsprobleme hängen im allgemeinen mit der Beschreibung stationärer Zustände zusammen. Anhand einer stationär strömenden inkompressiblen Flüssigkeit wollen wir die Zusammenhänge von physikalischer (Gleichgewichtsproblem) und mathematischer Gestalt (Integrationsbedingungstyp) kurz benennen. Für verschwindend geringe Zähigkeit läßt sich der Bewegungszustand einer solchen Flüssigkeit aus dem Gradienten eines Geschwindigkeitspotentials ermitteln.

(1.2)

Eine solche Strömung muß selbstverständlich auch den klassischen Erhaltungssätzen, wie etwa dem Satz von der Erhaltung der Masse (m = 0) genügen. Dieser lautet in seiner Feldgleichungsformulierung

(1.3)

also im hier betrachteten Fall eines inkompressiblen Mediums

(1.4)

Die Gleichungen (1.4) und (1.2) ergeben schließlich eine partielle Differentialgleichung 2. Ordnung für die abhängige Variable , die sog. Laplace-Gleichung

(1.5)

Es handelt sich dabei immer noch um eine, wenn auch spezielle Form des Massenerhaltungssatzes. Hiernach ruft die in der Zeiteinheit durch die gerichtete geschlossene Oberfläche eines Kontrollvolumens abfließende Masse eine entsprechende Massenverminderung innerhalb der Bereichsgrenzen hervor.

Für inkompressible Medien verschwinden die Glieder veränderlicher Dichte. Deshalb ist der Zustand einer solchen Flüssigkeit beim Eintritt in irgendein vorgegebenes Integrationsgebiet der gleiche wie beim Verlassen des Gebietes. Da man aber letztlich vor der Aufgabe steht, die physikalischen Verhältnisse innerhalb eines Gebietes vorherzusagen, muß man für die Lösbarkeit dieser Aufgabe in umgekehrter Weise folgern: Die innerhalb eines Gebietes ablaufenden Prozesse werden eindeutiger Weise dadurch festgelegt, daß sie den Geschehnissen entlang der Berandung das Gleichgewicht halten. Gleichgewichtsprobleme sind im mathematischen Sinne also Randwertprobleme. Lösungsversuche ohne die vollständige Kenntnis der Berandung wären sinnlos, da diese ja der Formulierung des Problems bereits zu Grunde liegen. Die Lösung ist eine Funktion der beiden unabhängigen Veränderlichen x und y, bezieht sich aber nur auf Variablenkombinationen, welche innerhalb einer ebenen geschlossenen Kurve ``C'' liegen. Mit C bezeichnet man die Kurve der Randwerte, die zur eindeutigen Bestimmung der Lösung dienen. Handelt es sich um einen mehrfach zusammenhängenden Bereich S, wie dies z.B. bei einer Profilumströmung gegeben ist, erweitert sich die Kurve C um alle inneren Ränder.



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Abbildung 1:  

Ausbreitungsprobleme behandeln oftmals Aufgaben, die die Zeit t als unabhängige Veränderliche enthalten. Die eindimensionale Wellengleichung

ist ein bekanntes Ausbreitungsproblem. Daneben existieren gerade in der Thermo- und Fluiddynamik Ausbreitungsprobleme, die sich zeitlich unabhängig (stationär) verhalten. Hierzu zählen die Impulsgleichung der ebenen Grenzschicht

(1.6)

sowie die linearisierte ebene Potentialgleichung der Gasdynamik

Letztere geht für M 0 (inkompressible Medien) in die Gleichung (1.5), also in ein Gleichgewichtsproblem über.

Herausragendes Merkmal der Ausbreitungsprobleme ist die Existens von Anfangswerten. Hiermit sind diejenigen Werte der abhängigen Variablen gemeint, welche den physikalischen Prozeß einleiten, beispielsweise die anfängliche Temperaturverteilung eines schlanken Stabes vor dem Wasserbad. Die Lösung (x,y) breitet sich ausgehend von den Anfangswerten (unter Beachtung der Randbedingungen) schrittweise aus. Welche Richtung dabei in der Ebene der unabhängigen Veränderlichen eingeschlagen werden muß, läßt sich errechnen.

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Abbildung 2:  

Das Integrationsgebiet ist also offen. Im skizzierten Falle (Abb. 2) der Temperaturverteilung des schlanken Stabes

fällt die Ausbreitungsrichtung trivialer Weise mit der Zeitachse zusammen. Die Richtungen, in der sich die Lösungen fortsetzen, heißen charakteristische Richtungen. Sie vermögen nicht die bereits errechneten Lösungen zu rückwertigen Stellen (nachträglich) zu beeinflussen. Wir wollen dies am Beispiel der linearisierten ebenen Potentialgleichung der Gasdynamik illustrieren.

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Abbildung 3:  

Abb. 3 zeigt die Ausbreitung einer schwachen Störung bei einer punktförmigen Schallquelle, die sich mit konstanter Überschallgeschwindigkeit bewegt. Der Vorgang ist (leider) instationär. Zur Zeit t0, an dem die Schallquelle den Punkt P erreicht hat, liegen alle früher ausgesandten Signale innerhalb des sogenannten Machschen Kegels. Dieser ist das Einflußgebiet der Störung.

Außerhalb herrscht Ruhe. Für den Machwinkel gilt:

Um zu einer stationären Strömung zu gelangen, wird die Geschwindigkeit c überlagert. Das Medium strömt nun mit c > a stationär auf die Störquelle zu. An der Skizzierung des Problems ändert sich dadurch nichts. Störungen können sich nur im Innern des stromab geöffneten Machkegels im sogenannten Abhängigkeitsgebiet bemerkbar machen. Das ebene Geschwindigkeitsfeld setzt sich zusammen aus der Anströmgeschwindigkeit c = sowie den Störgrößen innerhalb des Abhängigkeitsgebietes. Zur Beschreibung der Störgeschwindigkeit in der x-y Ebene wird die volle (nichtlineare, ebene, reibungsfreie) gasdynamische Grundgleichung

für den Fall notiert. Unter Vernachlässigung der von höherer Ordnung kleinen Glieder in v erhält man

sowie für rotationsfreie Strömungen die PDG 2. Ordnung

(1.7)

Die Gleichung (1.7) beschreibt die Ausbreitung einer in P auftretenden Störung des Geschwindigkeitsfeldes . Der Wert in P ist der Anfangswert des Problems. Die Störung breitet sich entlang der Machlinien (= Charakteristiken) aus. Die Linien haben ihren Ursprung in P und enden im Unendlichen. Als Bahnlinien der Störung sind sie physikalisch ausgezeichnet und somit die natürlichen Koordinaten des Problems. Wir wollen die natürlichen Koordinaten und nennen, wobei

Mit Ausnahme des Sonderfalles c = a, in dem beide Charakteristiken ineinander übergehen, haben - und -Charakteristiken einen Schnittpunkt. Charakteristiken gleichen Ursprungs schneiden sich in ihrem Störungszentrum, Charakteristiken verschiedenen Ursprungs höchstens einmal in einem Fernpunkt stromab. Hierzu betrachten wir nochmals das oben beschriebene Beispiel, wobei die Störung jetzt linienhaft entlang PQ verteilt sei (Abb. 4).

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Abbildung 4:  

Wir werden nun zeigen, daß sich eine Lösung in R von P und Q aus eindeutig bestimmen läßt, sofern:

a)
die Randwerte (P) und (Q) bekannt sind,
b)
für die partiellen Ableitungen { x} entlang x = 0 Anfangswerte gegeben sind.

Integriert man die Vorschrift (mathematisch = den ``Differentialoperator'')

in seinem Bestimmungsgebiet unter Verwendung des Gaußschen Satzes auf, so erhält man:

Das Problem läßt sich erheblich vereinfachen, in dem man den Rand C aufgrund der oben gestellten Überlegungen

wählt.

Das Umlaufintegral zerfällt in drei Teilintegrale und es ergibt sich

schließlich

Zum Abschluß dieses Beispiels sollen zwei wichtige Begriffe nochmals erläutert werden:

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Abbildung 5:  

Wie sich später zeigen wird, ist die Lösung von Gleichgewichtsproblemen im Unterschied zu Anfangswertproblemen aufwendiger. Die geringe Anzahl aller bis heute bekannt gewordenen analytischen Lösungen ist Ausdruck der Tatsche, welche Schwierigkeiten es bereitet, die Randbedingungen bei beliebig konturierten Rändern zu erfüllen. Oftmals sind numerische Näherungsverfahren daher der einzige Weg zur Lösung. An dieser Stelle sei unter Hinweis auf Abb. 6 bereits die Organisation der Näherungslösung skizziert.

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Abbildung 6:  

Zur Integration der Dgl. überdeckt man das in Frage kommende Gebiet S z.B. mit einem rechtwinkligen Gitternetz aus ädistanten Linien, die paralell zur x- bzw. y-Achse verlaufen. Eine Näherungslösung findet man an den Schnittpunkten dieser Linien, indem man die PDG über den Bereich S durch n algebraische Gleichungen approximiert. Die Approximation wird so durchgeführt, daß sämtliche partiellen Ableitungen der Dgl. in einem Punkt Pij durch gewichtete Differenzen von in benachbarten Punkten angenähert werden. Notiert man gemäß dieser Vorgehensweise die approximierende, algebraische Gleichung für alle n inneren Punkte, so ergibt sich ein geschlossenes Gleichungssystem mit n Gleichungen für n Unbekannte.

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Abbildung 7:  

Offensichtlich hängt die Güte der Näherung von der Fähigkeit des Gleichungssystems respektive des Kontrollpunktgitters ab, steile Gradienten physikalischer Größen aufzulösen. Derlei Probleme werden im Kapitel Gittergenerierung erläutert. Die Anwendung von endlichen Differenzenmethoden zur Integration der Dgl. unterscheidet sich im Falle von Ausbreitungsproblemen prinzipiell nicht von der vorangestellten Methodik. Der Lösungsalgorithmus ist jedoch nicht so komplex wie bei Randwertproblemen. Beispielsweise erfordert die Berechnung des Geschwindigkeitsfeldes einer sich ausbreitenden Plattengrenzschicht (Abb. 7) gleichzeitiges Lösen der Grenzschichtgleichung nur in Richtung der auftretenden zweiten Ableitung (Glg. 1.6). Die so gewonnenen Geschwindigkeitsprofile sind Anfangswerte für die stromab anschließenden Nachbarpunkte.


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Benjamin Gilde
Sat Dec 16 15:24:45 CET 2000